Interview mit Nikolaus Eich-Likidis

August 2015

Nikolaus Eich-Likidis:
Stuttgart hat einige Schätze, die es verdient haben, mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
Ich weiß, daß Du Marco, Dich viel mit stadtplanerischen Themen und der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Wandel der Stadt Stuttgart beschäftigst,
Du Dich mit Gebäuden, Häusern, Wohnungen auseinandersetzt, aber auch die Aufmerksamkeit auf die Menschen, die darin leben und wirken, richtest…

Marco Daniel Stifel:
Ja, das stimmt. Ich setze mich manchmal kritisch, manchmal humorvoll mit der Umgebung auseinander, die mich umgibt. Das tue ich derzeit in Stuttgart, wo ich lebe.
Angeregt durch viele Spaziergänge, was ich wirklich für den besten Weg halte, eine Stadt zu erkunden, fing ich an, Häuserfassaden zu fotografieren. Ich entdeckte, daß diese Fassadenbilder,
die ich über viele Jahre aus unterschiedlichsten Städten, in denen ich lebte, zusammentrug, meine Malerei hervorragend ergänzte.

N    
In welchen Städten hast Du gelebt?

M    
Ich bin in Kirchheim Teck groß geworden und habe in Esslingen studiert. Meine ersten 6 Monate im Ausland waren in Singapur, wo ich für SonyEriccson arbeitete.
Ich war daraufhin weitere 6 Monate in Seoul, Südkorea und ankerte mit einer günstigen Eigentumswohnung im Stuttgarter Süden in 2005. Dann zog es mich wieder in die Ferne. Ich fand eine faszinierende Anstellung in der Branche der regenerativen Energien. Diese war in Shanghai, China, wo ich 5 Jahre lebte.

N  
Vielleicht kannst Du uns etwas zur Entwicklung Shanghais erzählen?

M   
Die Entwicklung geht sehr schnell und kompromißlos voran. Die Fertigstellung gigantischer Wohnblocks geht wie in Zeitraffer. Ein neues Flughafenterminal, ein Bahnhof oder eine U-Bahn-Linie
eröffnet gefühlt alle 2 Wochen. Natürlich wird viel geschludert. In meiner Zeit dort, fiel ein 40-stöckiger Wohnblock im Jinan-District einfach um. Die Pfahlgründung war schlampig gemacht.
Die Mieter waren zu dem Zeitpunkt zum Glück noch nicht eingezogen. Trotzdem war es für mich erstaunlich, daß der Bahnhof in Stuttgart über Jahre hinweg gleich hässlich aussah. Es würde mir
nicht im Leben gelingen, einem Chinesen den Streit um den Stuttgarter Bahnhof, begreiflich zu machen. Und das liegt nicht daran, daß ich nicht weiß, was Juchtenkäfer auf Mandarin heißt.
Ich denke, hier treffen zwei sehr weit voneinander liegende Pole aufeinander - die schwäbische Gründlichkeit und der chinesische Pragmatismus.
Um diese beiden Pole zusammenzubringen, möchte ich an dieser Stelle die Dachgesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) und die deutsche Außenhandelskammer in Shanghai lobend erwähnen, die sich für Dialog einsetzen.
 
N    
Und wie fand nun die Architektur Ihren Weg in Deine Kunst?

M    
Meine Spaziergänge durch Shanghai, genauso wie durch Stuttgart, die Stadt in die ich zurückkehrte, waren inspiriert von der Spaziergangswissenschaft, die in dem Schweizer Lucius Burckhardt
seinen prominentesten Vertreter fand. In der auch „Promenadologie“ genannten Wissenschaft oder Philosophie geht es um das bewusst machen von Umweltwahrnehmung, um Reflexion und ästhetische Interventionen. Hierbei geht es mir um die Fassade als Gesicht der Architektur.
So grenze ich bei meinen Gemälden zwischen der Natur und dem von Menschen geschaffenen Strukturen ab. Die Natur stelle ich abstrakt dar. Sie ist chaotisch. In dieses Chaos hinein baut der Mensch seine eigenen in Ihrer Durchmischung leicht chaotisch anmutende Architektur, die gleichzeitig scharf abgrenzt und durch lineare und horizontale Linien, Karomuster bilden. Ästhetik entstehtimmer dann, wenn die menschlichen Strukturen mit dem Chaos der Natur harmoniert. Auf unserem Planeten genauso wie auf meinen Leinwänden.

N    
Wo ist das in Stuttgart nicht der Fall? Ein Beispiel?

M    
Nun - ich finde es sehr schade, daß Stuttgarts Fluss, der Neckar, ausschließlich für graue Infrastruktur erschloßen ist. Hier begrüße ich die Initiative von OB Kuhn, die die Nutzung unter Gesichtspunkten der Lebensqualität für alle Stadtbürger umsetzen möchte.
Was wäre das für ein schönes Bild, ein Hausboot am Stadtstrand gegenüber der Wilhelma liegen zu sehen. Wir brauchen mehr Mut für unkonventionelle Ideen. Natürlich dürfen wir nicht so schludern wie die Chinesen, aber auch nicht im Stillstand verharren, wie ich es in Stuttgart nur all zu häufig erlebe. Wir sollten selbstbewußter sein.

N    
Vielen Dank für das Gespräch.  





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